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Virtuelle Prozesse – Schiedsverfahren in Zeiten von Corona

Fachbeiträge

Weltweit sind Gerichte von Lockdowns betroffen. Auch die deutsche Justiz arbeitet derzeit im „eingeschränkten Dienstbetrieb“ („Das Gerichtsgebäude ist bis auf weiteres geschlossen“ - Rechtsstreitigkeiten in Zeiten von Corona). Wer in Zeiten von Corona Rechtsschutz bei staatlichen Gerichten sucht, für den ist völlig unklar, wann und wie er sein Verfahren tatsächlich betreiben kann. Zusätzliche Unsicherheit besteht in internationalen Streitigkeiten, wenn die Beteiligten Reisebeschränkungen unterliegen. Deutlich mehr Effizienz und höhere Rechtssicherheit genießen Parteien, die sich auf Grundlage einer Schiedsvereinbarung im Vertrag, ad hoc oder sogar aus einem laufenden Gerichtsverfahren heraus dafür entscheiden, ihre Streitigkeit in einem Schiedsverfahren auszutragen. Denn ein Schiedsverfahren lässt sich virtuell durchführen.

Möglichkeiten virtueller Verfahrensführung

Schiedsverfahren können vollständig digital abgewickelt werden – über E-Mails, Datenräume, Telefon- und Videokonferenzen. Im Extremfall kann eine Partei ihre Ansprüche durchsetzen, ohne Richtern oder Gegnern jemals in Person gegenüberzutreten. Das einzige Papier, das die obsiegende Partei in den Händen hält, ist dann der unterschriebene Schiedsspruch. Weil Schiedsverfahren in einen deutlich liberaleren verfahrensrechtlichen Rahmen eingebettet sind als staatliche Gerichtsverfahren, lässt sich ihr Ablauf viel flexibler und individueller gestalten. Gerade im internationalen Kontext sparen die Parteien so Postlaufzeiten, Reisezeit und Kosten. Dabei gehen ökonomische und ökologische Aspekte Hand in Hand. Akten werden elektronisch geführt, Dokumente in Datenräumen ausgetauscht und Besprechungen oder sogar ganze Verhandlungen online durchgeführt. Verfahrenskonferenzen, Zeugen- oder Sachverständigenbefragungen, mündliche Verhandlungen (e-Hearings) und interne Beratungen des Schiedsgerichts oder der Parteien mit ihren Beratern erfordern keine persönliche Begegnung. Der tatsächliche Verhandlungsort lässt sich ohnehin unabhängig vom rechtlichen Verfahrenssitz frei wählen. Parteien können aber auch in virtuellen Verhandlungsräumen aufeinandertreffen. Professionelle Softwareanbieter stellen hierfür die notwendige Infrastruktur. Gängige internationale Schiedsinstitutionen wie ICC, LCIA, HKIAC, SIAC, SIDRC, JAMS oder AAA/ICDR bieten schon lange virtuelle Kommunikationsformen an. In der weltweiten Corona-Krise erweitern sie nun ihr Angebot. Zum Beispiel forcieren AAA/ICDR oder SIAC den Einsatz von Videokonferenzlösungen. Die Community der Schiedsrechtler hat in dem erst jüngst im März 2020 veröffentlichten „Seoul Protocol on Video Conferencing in International Arbitration“ best practices und technische Mindeststandards für den Einsatz solcher Technik formuliert.

 

In Zeiten von Corona gewinnen Möglichkeiten virtueller Verfahrensführung eine ganz neue Bedeutung. Sie erlauben eine effektive Rechtsverfolgung selbst unter extremen Bedingungen wie Reisebeschränkungen, Quarantäne, Ausgangssperren und Kontaktverboten. In der Krise verspricht die Schiedsgerichtsbarkeit somit ein hohes Maß an Effizienz und Rechtsschutz, während die Funktionsfähigkeit staatlicher Gerichte an ihre Grenzen stößt.

Grenzen und Risiken

Schöne neue Welt? Die Entscheidung über Art und Ausmaß virtueller Verfahrensführung muss sorgfältig geprüft und abgewogen werden. Schiedsgerichte sind zwar nicht wie staatliche Gerichte an die Prinzipien der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit gebunden. Zwingende Leitplanken ergeben sich aber aus den zentralen verfahrensrechtlichen Grundsätzen des rechtlichen Gehörs und der Gleichbehandlung beider Parteien (§ 1042 Abs. 1 ZPO, Art. 18 UNCITRAL Modal Law on International Commercial Arbitration). Deshalb muss zum Beispiel sichergestellt sein, dass keine Partei mit unangemessenem, ungerechtfertigtem technischen Aufwand belastet wird, dass Zeugen ohne Beeinflussung Dritter befragt werden oder dass plädierende Anwälte in e-Hearings Dokumente zeigen können, Augenkontakt mit den Richtern haben und jederzeit gut zu verstehen sind. Überhaupt ist die Auswahl, Abstimmung und Anwendung geeigneter Technik eine nicht zu unterschätzende praktische Herausforderung. Dank zunehmender Verfestigung von best practices wird sie beherrschbar. Damit ein Schiedsspruch den Anfechtungs- und Vollstreckungsverfahren vor staatlichen Gerichten standhält, sind zudem zwingende Vorgaben des am Schiedsort geltenden Rechts (lex arbitri) sowie der jeweiligen Schiedsordnung zu beachten. Für den Erlass eines Schiedsspruchs gelten meist Formvorschriften (§ 1054 ZPO, Art. 31 UNCITRAL Modal Law). Hinzu kommen spezifische nationale kommunikations- und datenschutzrechtliche Anforderungen. Bei der Auswahl geeigneter Verschlüsselungstechnik müssen die Parteien schon im eigenen Interesse ein angemessenes Maß an Daten- und Systemsicherheit festlegen. Eine zuverlässige, rechtssichere und effiziente virtuelle Verfahrensführung folgt deshalb nicht dem Prinzip one size fits all. Gefragt sind maßgeschneiderte Lösungen für den konkreten Fall.

Wenn die Zeit drängt

Effektiver Rechtsschutz verlangt zuweilen auch schnelle Maßnahmen, insbesondere dann, wenn eine übliche Klage (das Hauptsacheverfahren) aufgrund seiner Dauer keinen wirksamen Rechtsschutz verspricht. Für solche Fälle hält die deutsche Zivilprozessordnung Eilverfahren bereit (einstweilige Verfügung und einstweilige Anordnung). Vorläufiger Rechtsschutz kann aber auch durch Schiedsgerichte gewährleistet werden. Denn selbst wenn die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben, sind in diesem Bereich zwingend stets sowohl die nationalen Gerichte als auch das jeweilige Schiedsgericht zuständig. Viele Schiedsverfahrensordnungen ermöglichen Entscheidungen durch Eilschiedsrichter (emergency arbitrator, so bspw. Art. 29 ICC-Schiedsordnung, Art. 43 SCAI-Schiedsordnung / Swiss Rules, Art. 9B LCIA-Schiedsordnung). Die auf nationale Schiedsverfahren oft anwendbare Schiedsordnung der Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) enthält jedoch – entgegen diesem internationalen Trend – keine Regelungen zu einem Eilschiedsrichter, sodass Eilmaßnahmen erst getroffen werden können, nachdem ein Schiedsgericht gebildet ist. Im Regelfall verspricht daher ein Eilverfahren vor den staatlichen Gerichten den effektiveren Rechtsschutz. Und da solche Eilverfahren vielfach ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, sind diese – auch ohne virtuelles Verfahren – auch derzeit ein probates Mittel.

 

Fazit: In der Krise kann die Schiedsgerichtsbarkeit ihre ohnehin bestehenden Vorteile voll ausspielen: Im Unterschied zu staatlichen Gerichtsverfahren sind Schiedsverfahren nicht nur vertraulich und regelmäßig effizienter, sie sind auch flexibel und digital. So lassen sich Reisebeschränkungen überwinden und physische Kontakte vermeiden. Anders als staatliche Verfahren können Schiedsverfahren den individuellen Bedürfnissen der Parteien und den aktuellen Umstände angepasst werden. Mit keiner anderen Verfahrensform kann daher vergleichbar kreativ den Herausforderungen der Corona-Krise begegnet werden. Somit ist zu erwarten, dass die Bedeutung von Schiedsverfahren und insbesondere der virtuellen Verfahrensführung zukünftig weiter zunehmen wird.

 

Gerne unterstützen wir Sie bei der streitigen Durchsetzung ihrer Rechte auch in krisengeschüttelten Zeiten. Hierzu und zu weitergehenden Fragen erhalten Sie kurzfristige Antworten unter taskforce@menoldbezler.de. 

 

 

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