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„Das Gerichtsgebäude ist bis auf weiteres geschlossen“ - Rechtsstreitigkeiten in Zeiten von Corona

Fachbeiträge

Die Corona-Krise trifft auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Sie macht auch vor der Justiz nicht halt. Deutsche Gerichte arbeiten derzeit nur noch im „eingeschränkten Dienstbetrieb“. Was dies für den Rechtssuchenden konkret bedeutet, ist von Woche zu Woche und von Landgericht zu Landgericht verschieden. Die Reaktionen der Gerichte auf die seit Mitte März 2020 beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus reichen von Zugangsbeschränkungen und erschwerter Erreichbarkeit bis hin zur vollständigen Schließung von Gerichtsgebäuden und der Absage aller Verhandlungstermine von Amts wegen. Wer jetzt den Schutz staatlicher Gerichte sucht, muss starke Nerven und einen langen Atem beweisen.

 

Positionen halten, nicht aufgeben

 

Um ihren Geschäftsbetrieb aufrechtzuhalten, müssen Unternehmen gegenwärtig Entscheidungen von größter Tragweite treffen und bereits jetzt massive Einbußen hinnehmen. Im Vordergrund steht die Suche nach kreativen, pragmatischen und schnellen Lösungen. Doch auch wer derzeit in gestörten Vertragsbeziehungen den bestmöglichen Kompromiss sucht, sollte mit Blick auf die Zukunft die Devise befolgen: Positionen halten, nicht aufgeben. Denn die Zeit der juristischen Aufarbeitung wird kommen. Viele Unternehmen werden einen in der Krise erreichten Status Quo nicht akzeptieren. Gerichte werden klären, in welchem Einzelfall sich eine Vertragspartei tatsächlich auf höhere Gewalt, Unmöglichkeit, Störung der Geschäftsgrundlage oder auf ein besonderes Leistungsverweigerungsrecht berufen durfte. Auch die Frage einer möglichen Inanspruchnahme des Staates unter dem Blickwinkel behördlicher Maßnahmen und ihrer Verhältnismäßigkeit auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) wird zu gegebener Zeit gestellt werden.

 

Um für diese Phase der Aufarbeitung gerüstet zu sein, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen jetzt alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um den erwarteten Schaden in der Vertragsbeziehung so gering wie möglich zu halten. Solche Maßnahmen sollten, ebenso wie die leistungsbehindernden Ereignisse selbst und ihre Verbindung zur Vertragsverletzung, sorgfältig dokumentiert werden. Zudem müssen Unternehmen die formalen Voraussetzungen zur Sicherung ihrer Rechtspositionen schaffen, zum Beispiel durch Behinderungsanzeigen, Annahmeverzugsschreiben, Nachfristsetzungen oder Anzeigen von Mindermengen. Nicht nur nach deutschem Recht (§§ 276, 275, 313 BGB) werden Richter fragen, welche zumutbaren Maßnahmen von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation vernünftigerweise (reasonably) zur Schadensabwehr erwartet werden durften (force majeure, frustration, Art. 79 CISG).

 

Umgang mit laufenden Gerichtsverfahren

 

Die Justizminister der Länder formulieren ausdrücklich den Selbstanspruch, die Funktionsfähigkeit der Justiz aufrechtzuerhalten – wenn auch unter Konzentration auf Kernbereiche und unter Beschränkung von Verhandlungen auf unaufschiebbare, dringende Fälle. Das bedeutet zunächst: Von einem Stillstand der Rechtspflege mit einer automatischen Aussetzung aller Verfahren und Fristen kann keine Rede sein (§§ 245, 249 Abs. 1 ZPO). Das bedeutet auch: Im Zivilrecht bleiben Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weiter möglich (§§ 916 ff. ZPO). Ihre Bedeutung wird in den kommenden Wochen zunehmen. Entscheidungen können hier ohne mündliche Verhandlung getroffen werden.

 

Demgegenüber sollten Parteien, die in reguläre Gerichtsverfahren verstrickt sind, eine realistische Erwartung an die Leistungsfähigkeit der Gerichte richten. Die Mühlen der Justiz mahlen jetzt langsamer. Auch nach Abklingen der Krise wird der Terminierungs- und Bearbeitungsstau noch anhalten. Die Handlungsfähigkeit des einzelnen Richters wird stark von den individuellen Homeoffice-Bedingungen, von der Organisation seiner Geschäftsstelle und von der vorhandenen technischen Infrastruktur am Gerichtsstandort abhängen. Vom fortschrittlichen Gesetzgeber vorgesehene Optionen wie die Verhandlungsführung via Videokonferenz (§ 128a ZPO) dürften regelmäßig an der fehlenden technischen Ausstattung der Gerichte scheitern. Terminierung und Fristensetzung werden gegenwärtig sehr unterschiedlich gehandhabt. Keinesfalls sollten sich Anwälte und Parteien auf eine automatische Verlegung oder Verlängerung verlassen. Anträge auf Terminsverlegung (§ 227 ZPO) oder Fristverlängerung (§§ 224, 225 ZPO) dürften zwar wohlwollend und großzügig gehandhabt werden, verlangen aber einen besonderen Vorlauf. Im Falle einer versäumten Frist käme eine Wiedereinsetzung nur im Einzelfall in Betracht (§ 233 ZPO). Auch verjährungshemmende Maßnahmen sollten vorausschauend geplant und umgesetzt werden. Eine Verjährungshemmung wegen höherer Gewalt käme wiederum nur im Einzelfall in Betracht (§ 206 BGB). In Quarantänesituationen ist an eine Aussetzung des Verfahrens zu denken (§ 247 ZPO). Eine effiziente elektronische Kommunikation mit den Gerichten ist von Anwaltsseite über das beA-Postfach schon seit längerer Zeit möglich.

 

Alternative Schiedsverfahren und Mediation

 

Angesichts einer Rechtspflege „auf Eis“ sollten Unternehmen alternative Wege der Konfliktlösung in Betracht ziehen. Ein Wechsel zu einem Schieds- oder Mediationsverfahren ist sogar aus einem laufenden staatlichen Gerichtsverfahren möglich. Vor allem für grenzüberschreitende Streitigkeiten bieten sich Schiedsverfahren als effiziente, flexible, zeitgemäße und „krisensichere“ Verfahrensformen an. Schiedsverfahren lassen sich bereits jetzt verlässlich vollständig virtuell führen.

 

 

 

Fazit

 

Trotz der Krise ist der Rechtsstaat nicht ernsthaft gefährdet. Die Gerichte arbeiten weiter, aber unter erschwerten Bedingungen. Zentrale verfahrensrechtliche Grundsätze wie Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Beschleunigung werden dabei bis aufs Äußerste strapaziert. Zudem kann heute niemand sagen, welche zusätzlichen Beschränkungen morgen noch hinzutreten werden. Derzeit erscheint zumindest ein funktionierender vorläufiger Rechtsschutz gewährleistet. Im Übrigen ist Unternehmen zu raten, ihre rechtlichen Positionen durch formale Schreiben und dokumentierte Maßnahmen der Schadensminimierung abzusichern, um für eine spätere Phase der gerichtlichen Aufarbeitung gerüstet zu sein. Zivilrechtliche Verfahren vor staatlichen Gerichten dürften sich bis auf weiteres ganz erheblich verzögern. Größere Rechtssicherheit, Schnelligkeit und Flexibilität verspricht demgegenüber die Streiterledigung im Schiedsverfahren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die jetzige Krise den deutschen Gerichten zu einem deutlichen Innovationsschub verhelfen wird – durch flächendeckende elektronische Aktenführung und die Ausstattung mit ausreichender Videokonferenztechnik.

 

Gerne unterstützen wir Sie bei der streitigen Durchsetzung ihrer Rechte auch in krisengeschüttelten Zeiten. Hierzu und zu weitergehenden Fragen erhalten Sie kurzfristige Antworten unter taskforce@menoldbezler.de.

 

 

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