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Wie eng oder weit muss ein „Bauprojekt“ in mehreren Abschnitten bei der Schwellenwertberechnung gefasst werden?

Öffentliche Hand
Wie eng oder weit muss ein „Bauprojekt“ in mehreren Abschnitten bei der Schwellenwertberechnung gefasst werden?

Wie ist der Auftragswert bei Bauvorhaben zu ermitteln, die in mehreren Abschnitten errichtet werden? Müssen die Auftragswerte der einzelnen Abschnitte bei der Auftragswertberechnung addiert werden oder dürfen diese als separate Aufträge betrachtet werden? Diese Frage stellt die Vergabepraxis immer wieder vor Herausforderungen. Das OLG Schleswig-Holstein hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung hilfreiche Feststellungen hierzu getroffen.

Sachverhalt

Die Auftraggeberin betreibt ein Messegelände. Im Jahr 2009 hatte sie ein Vorhaben zur Modernisierung und Erweiterung des Geländes begonnen, welches im Jahr 2015 abgeschlossen wurde. Dieses Vorhaben sah zunächst kein Kongresszentrum vor. Eine Potenzialanalyse für ein Kongresszentrum gab die Auftraggeberin erst im Jahr 2016 in Auftrag.

Für den beabsichtigen Neubau und die Erweiterung des Kongresszentrums schrieb die Auftraggeberin dann im Jahr 2020 unter anderem als Teilleistung einen Auftrag über mobile Trennwandanlagen aus. Der Auftragswert für dieses Vorhaben lag nach Einschätzung der Auftraggeberin zwar unter dem EU-Schwellenwert. Sie führte jedoch mit Blick auf erhaltene Fördermittel trotzdem eine europaweite Ausschreibung durch.

Nach der Prüfung der Angebote informierte die Auftraggeberin die spätere Antragstellerin über die beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das Angebot eines anderen Bieters. Diese rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung unter anderem mit der Begründung, dass das für den Zuschlag vorgesehene Angebot eine Mindestanforderung nicht erfülle. Nach erfolgloser Rüge leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer Schleswig-Holstein ein.

Die Vergabekammer verwarf den Nachprüfungsantrag als unzulässig, da der Rechtsweg mangels Erreichen des Schwellenwerts nicht eröffnet sei.  Gegen diese Entscheidung der Vergabekammer legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde beim OLG Schleswig ein.

Rechtliche Würdigung

Der Vergabesenat des OLG Schleswig-Holstein hat die Entscheidung der Vergabekammer bestätigt.

Nach Ansicht des Vergabesenats war allein auf das Vorhaben „Neubau und Erweiterung des Kongresszentrums“ aus dem Jahr 2020 abzustellen, welches nicht den EU-Schwellenwert erreichte. Das im Jahr 2009 begonnene Vorhaben „Modernisierung und Erweiterung des Messegeländes“ sei bereits im Jahr 2015 abgeschlossen gewesen und somit nicht bei der Auftragswertberechnung zu berücksichtigen.

Insoweit stellte der Vergabesenat auf den funktionalen Auftragsbegriff ab, nach dem organisatorische, inhaltliche, wirtschaftliche und technische Zusammenhänge zu berücksichtigen sind, um zu bestimmen, ob ein einheitlicher Auftrag, oder aber mehrere Aufträge vorliegen

In funktionaler Hinsicht bestand aus Sicht des Vergabesenats kein so enger Zusammenhang, dass der eine Komplex nicht ohne den anderen genutzt werden könne. Die Messen konnten vielmehr ohne Nutzung des Kongresszentrums und Kongresse ohne Nutzung der Messehallen abgehalten werden.

Ergänzend hat der Vergabesenat dieses Ergebnis damit begründet, dass auch die zeitliche Zäsur zwischen den beiden Vorhaben dazu führe, diese Aufträge als getrennt zu betrachten.

Praxistipp

Insgesamt liefert die Entscheidung hilfreiche Anhaltspunkte für die Vergabepraxis, um bei der Auftragswertschätzung die anspruchsvolle Einschätzung zu treffen, ob ein einheitlicher Auftrag oder aber getrennte Aufträge vorliegen.

In erster Linie sollte auf den funktionalen Auftragsbegriff abgestellt werden. Eine zeitliche Zäsur zwischen einzelnen Baumaßnahmen führt häufig allein noch nicht zu einer Getrenntbetrachtung bei der Auftragswertschätzung. Beziehen sich zeitlich versetzte Maßnahmen beispielsweise auf dasselbe Gebäude, das lediglich in mehreren Bauabschnitten saniert wird (wie dies häufig bei Schulen, Kliniken oder Verwaltungsgebäuden der Fall ist), wird man also von einem einheitlichen Auftrag ausgehen müssen.

Auftraggeber sollten die Auftragswertschätzung bei Bauvorhaben stets sorgfältig prüfen und ihre Entscheidung in jedem Fall gut dokumentieren.

Maßgebliche Entscheidung: OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 07.01.2021 – 54 Verg 6/20

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