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Geschäftsleiter-Haftung in Zeiten von Corona

Fachbeiträge

Die Corona-Krise bringt besondere Anforderungen für Geschäftsleiter (Vorstände, Geschäftsführer) mit sich. Natürlicherweise rücken dabei einige der so genannten Kardinalpflichten in den Vordergrund wie etwa ordnungsgemäße Buchführung, Liquiditätsüberwachung, die Stellung eines Insolvenzantrags und das Unterlassen der Rückzahlung des Grund- oder Stammkapitals. Mittlerweile gewinnt auch die Frage an Bedeutung, ob ein Unternehmen staatliche Hilfen beantragen soll, die es zwar formal erhalten könnte, die es aber materiell (noch) nicht braucht. Schließlich rücken Anforderungen an den Arbeitsschutz in den Fokus. Die letzten beiden Themen liegen an der Schnittstelle zwischen freiem unternehmerischen Ermessen und strenger Legalitätsbindung.

 

Um in diesen Bereichen Haftungsgefahren zu vermeiden, sollten unüberlegte Schnellschüsse vermieden werden. Geschäftsleiter tun daher gut daran, die Unterstützung ihrer gesetzlichen oder satzungsmäßigen „Sparringspartner“ zu suchen und einzufordern. Aufsichtsräte, Beiräte und Gesellschafterversammlungen sollten umgekehrt in den Aktiv-Modus schalten. Für beide Seiten könnte sich ein Blick in die aktuellen D&O-Policen lohnen. Je nach Programm ist dort möglicherweise ein Sublimit für vorbeugende Rechtsberatung enthalten.

1. Ordnungsgemäße Buchführung und Liquiditätsüberwachung

Zu allen Zeiten hat der Geschäftsleiter ein geordnetes Bild von der Liquiditätssituation zu haben. Verstößt er hiergegen, begeht er eine schwere Pflichtverletzung, die sich im Insolvenzfall als fatal herausstellen kann. Nach §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG bzw. § 64 S. 1 GmbHG haftet der Geschäftsleiter grundsätzlich für alle Zahlungen, die die Gesellschaft nach dem Eintritt der Insolvenzreife leistet (hierzu noch unten). Je weiter also der Zeitpunkt der Insolvenzreife vor dem Eröffnungsantrag liegt, desto höher wird regelmäßig der zu erstattende Betrag sein. Zwar muss der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen, dass und wann Insolvenzreife eingetreten ist. Kann er das aber nicht, weil die Buchführung so schlecht war, dass sie solche Rückschlüsse nicht sauber zulässt, gilt nach der Rechtsprechung plausibler Vortrag des Insolvenzverwalters zum Zeitpunkt der Insolvenzreife als zugestanden.

 

Das leuchtet auf den ersten Blick ein und entspricht gesundem Menschenverstand. Wer soll sich damit entlasten können, dass seine Buchführung ein „Waschkorb“ voller Zettel und Notizen ist? So klar liegen die Dinge aber meist nicht. Die Erfahrung zeigt, dass in hektischen und knappen Zeiten schnell einmal an der Buchführung gespart oder dass sie nicht sauber durchgezogen wird.

 

Um ein Beispiel herauszugreifen: Derzeit werden täglich Tausende von Stundungsvereinbarungen abgeschlossen, unter anderem mit Vermietern von Betriebsgrundstücken. Es ist gar nicht so selten, dass Stundungen nicht ins Forderungsmanagement gelangen. Dort ist dann immer noch die im Mietvertrag vereinbarte Fälligkeit hinterlegt. Hierauf wird sich der Insolvenzverwalter zunächst einmal stützen. Was sollte er denn anderes tun? Wenn der Geschäftsleiter die Stundung nicht anderweit nachweisen kann, kann ein Gericht folglich einen früheren Insolvenzzeitpunkt annehmen.

2. Stellung eines Insolvenzantrags: COVID-19 Gesetzgebung suspendiert nur Antragspflicht, nicht aber Antragsberechtigung

Ist das Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet, so hat der Geschäftsleiter grundsätzlich Insolvenzantrag zu stellen, und zwar bereits am Tag null. Ausnahmen gelten nur, wenn konkrete und nachweisbare Sanierungschancen bestehen. Falsch ist zudem der weit verbreitete Irrglaube, der Geschäftsleiter hätte drei Wochen Zeit, um den Antrag zu stellen. Tatsächlich macht er sich strafbar, wenn er nicht spätestens innerhalb dieser Frist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt. Die oben genannte Haftung für Zahlungen besteht ab dem Zeitpunkt des objektiven Eintritts der Insolvenzreife. Auf den Zeitpunkt der Antragstellung kommt es nicht an.

 

Die COVID-19-Gesetzgebung hat hier nun einige Änderungen gebracht. Die Insolvenzantragspflicht ist für Unternehmen suspendiert, die zum 31. Dezember 2019 zahlungsfähig waren und deren Insolvenzreife auf der Corona-Pandemie beruht. Ferner muss das Unternehmen sanierungsfähig sein, insbesondere müssen Aussichten auf Beseitigung einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit bestehen.

 

Wie weit diese Prognose reichen muss, ist derzeit umstritten. Einige stellen auf den 30. September 2020 ab, weil mit diesem Tag die Suspendierung der Antragspflicht ende. Daran ist richtig, dass es gegenwärtig um eine insolvenzrechtliche Ausnahmesituation geht, die voraussichtlich mit dem genannten Datum endet. Auf der anderen Seite sind Fortführungs- und Liquiditätsprognosen herkömmlicherweise für die Dauer von einem bis anderthalb Jahren aufzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber hieran etwas ändern wollte. Sicherheitshalber wird man daher höhere Anforderungen an das zeitliche Element der Prognose und einen längeren Zeitraum fordern müssen. Für den Fristbeginn dürfte auf den Beginn der Insolvenzreife abzustellen sein.

 

Ferner ist auf folgende Umstand hinzuweisen: Das neue Recht suspendiert lediglich die Antragspflicht. An der Frage, ob Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, ändert sich dadurch nichts. Einigkeit besteht wohl darüber, dass der Geschäftsleiter auch unter der COVID-19-Gesetzgebung dazu berechtigt ist, Insolvenzantrag zu stellen, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt. Hieran kann er ein Interesse haben, etwa weil ihm der Zeitpunkt für eine Eigenverwaltung günstig erscheint und sich gerade ein potentieller Investor gemeldet hat.

 

Offen ist, ob der Geschäftsleiter hierzu im Innenverhältnis den Aufsichtsrat, die Hauptversammlung oder die Gesellschafterversammlung fragen muss. Eingeführt worden ist ein solches Erfordernis durch die COVID-19-Gesetzgebung nicht. Es sprechen aber systematische und übergeordnete Gründe dafür:

 

Bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO wird bei der GmbH ein Gesellschafterbeschluss gefordert, bei der AG soll zumindest der Aufsichtsrat, aber unter Umständen zusätzlich die Hauptversammlung zu fragen sein. Ferner hat der Geschäftsleiter nicht nur solche Vorgänge der Gesellschafterversammlung / dem Aufsichtsrat vorzulegen, die in einem Vorlagekatalog der Satzung oder sonst wo niedergelegt sind. Es besteht eine Vorlagepflicht für besonders ungewöhnliche Geschäfte. Einen Insolvenzantrag zu stellen, ohne von Gesetzes wegen dazu verpflichtet zu sein, gehört sicher dazu. Schließlich hat der Geschäftsleiter die Vermögensinteressen der Gesellschaft zu wahren. Alles dies spricht dafür, einen Gesellschafterbeschluss und, in der AG, einen Beschluss zumindest des Aufsichtsrats zu verlangen. Ein solcher würde im Innenverhältnis die Haftung des Geschäftsleiters ausschließen. Im Außenverhältnis wäre ein auch ohne Beschluss gestellter Antrag wirksam.

 

In diesem Bereich ist besondere Vorsicht geboten: In „normalen“ Zeiten ist ein Gesellschafter- oder Aufsichtsratsbeschluss bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gerade nicht erforderlich. Hier ist es andersherum: Ein Beschluss, trotz Insolvenzreife keinen Antrag zu stellen, wäre in normalen Zeiten für den Geschäftsleiter unbeachtlich.

3. Gelockerte Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife

Der Gesetzgeber hat ebenfalls die oben erwähnte Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife gelockert. Geschäftsleiter sollen nicht für solche Zahlungen haften, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Insolvenzantragspflicht wie beschrieben suspendiert ist. Fehlt es an den Voraussetzungen – etwa weil per 31. Dezember keine Zahlungsfähigkeit bestand oder keine Sanierungsaussichten gegeben sind –, bleibt es bei der grundsätzlichen Haftung des Geschäftsleiters für alle Zahlungen der Gesellschaft.

4. Verbot der Einlagenrückgewähr

Eine der „Todsünden“, die ein Geschäftsleiter begehen kann, ist die verbotene Einlagenrückgewähr. Das Grund- oder Stammkapital darf grundsätzlich nicht an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. Dies gilt (selbstverständlich) auch dann, wenn Gesellschafter eine andere Gesellschaft ist, also in Unternehmensverbünden. Hier lauern derzeit besondere Haftungsgefahren.

 

Das Stammkapital einer GmbH darf grundsätzlich nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden, wenn dadurch eine Unterbilanz entsteht oder vertieft wird. Ausnahmen gelten nur dann, wenn der Zahlung ein jederzeit fälliger oder fällig zu machender vollwertiger Rückgewähranspruch gegenübersteht. Der Begriff der Zahlung ist weit zu verstehen und umfasst jede Leistung, die das Gesellschaftsvermögen mindert. Diese Leistung muss nicht unbedingt gegenüber der Muttergesellschaft selbst erbracht werden. Es genügt, wenn die Leistung an eine Schwestergesellschaft erbracht wird und die Mutter damit einverstanden ist oder ihr dies nützt. Jeder Geschäftsführer ist „seiner“ GmbH verpflichtet. Geschäfte unter den Gesellschaften müssen grundsätzlich einem Drittvergleich standhalten. Der Geschäftsführer muss die Zahlungsfähigkeit der Leistungsempfängerin überwachen und ggf. Sicherheiten fordern oder gewährte Darlehen kündigen und fällig stellen.

 

Dies gilt es gerade in Krisenzeiten zu beachten. Für den Geschäftsführer wäre es höchst riskant, „schnell mal“ Zahlungen an verbundene Unternehmen zu leisten oder Übereignungen (auch Sicherungsübereignungen im Rahmen einer Darlehensaufnahme) an diese vorzunehmen, ohne die Auswirkungen auf das Stammkapital zu beachten, „nur“ um diese zu retten. Mitunter weist ihn die Muttergesellschaft sogar dazu an. Das hilft in Hinblick auf das Stammkapital nicht, weil Gläubigerschutz in Rede steht, über den die Gesellschafter nicht disponieren können. In diesem Bereich ist Expertenrat unabdingbar.

5. Verzicht auf Beantragung von staatlichen Hilfen?

Es gibt Unternehmen, die nach eigenem Bekunden berechtigt wären, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen. Sie tun es aber nicht oder nicht in vollem Ausmaß, weil sie genügend Liquiditätsreserven haben. Andere versuchen, alle legalen Register zu ziehen, auch wenn sie nicht unbedingt darauf angewiesen wären. Dies läuft auf eine Frage hinaus, die für Geschäftsleiter auch in normalen Zeiten eine Rolle spielt: Muss man ausreizen, was man rechtlich könnte?

 

Die Frage ist grundsätzlich mit Ja zu beantworten. Der Geschäftsleiter hat die Vermögensinteressen „seiner“ Gesellschaft zu betreuen. Die Gesellschaft allein ist Treugeberin des Vermögens, nicht der Gesellschafter. Davon abgesehen, ist hier aber großer Raum für Unternehmenspolitik. Es lässt sich gut hören, dass man nicht alles ausreizt, was man könnte. Dies kann sogar ein Maßstab für einen good corporate citizen sein. Geschäftsleiter sollten in diesem Bereich aber in jedem Fall den Aufsichtsrat und / oder die Gesellschafter einbeziehen. Beschlüsse sollten schriftlich gefasst werden.

6. Arbeitsschutz

Besondere Bedeutung hat der Arbeitsschutz erlangt. Hierzu steht die Rechtsprechung schon lange auf dem Standpunkt, dass gesetzliche Arbeitsschutzvorschriften in den Bereich der Legalitätsbindung gehören und daher unternehmerischem Ermessen grundsätzlich nicht zugänglich sind. Ein Geschäftsleiter kann sich grundsätzlich nicht mit dem Argument entlasten, er habe das Geld, das eine gesetzlich erforderliche Arbeitsschutzmaßnahme gekostet hätte, für den Erhalt der Arbeitsplätze gebraucht.

 

Die COVID-19-Krise bringt nun einen ganzen Strauß von Empfehlungen mit sich, die keine Gesetzeskraft haben. In diesem Bereich könnten Arbeitsschutzmaßnahmen dem unternehmerischen Ermessen unterfallen. Dann müssten aber auch dessen Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Geschäftsleiter alle verfügbaren Informationen einholen und eine Abwägung vornehmen. Hierfür muss er seinen Betrieb gut kennen, die Risikoexposition der Mitarbeiter richtig einschätzen und diejenigen Maßnahmen ergreifen, die man von einem Geschäftsleiter in einem vergleichbaren Unternehmen vernünftigerweise erwarten würde. Der Geschäftsleiter muss darlegen und beweisen, dass er mit unternehmerischem Ermessen gehandelt hat. Er tut daher gut daran, seine Überlegungen und Maßnahmen zu dokumentieren.

7. Reger Austausch mit Aufsichtsrat / Beirat / Gesellschafterversammlung

Auch in normalen Zeiten gibt es ein probates Mittel zur Haftungsvermeidung: Das gesetzliche und satzungsmäßige Kompetenzgefüge achten und auf gemeinsame Überlegungen setzen. Das gilt erst recht in Krisensituationen. Aufsichts- und Beiräte sind ja dazu da, den Geschäftsleiter zu begleiten, nicht in erster Linie kritisch, sondern konstruktiv. Das sollten Geschäftsleiter einfordern. In einer Krise erhöht sich auch die „Kontrolldichte“ seitens dieser Gremien. Sie sollten ihrerseits das Gespräch mit der Geschäftsleitung suchen. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die Pflicht des GmbH-Geschäftsführers nach § 49 Abs. 3 GmbHG, eine Gesellschafterversammlung in jedem Falle dann einzuberufen, wenn die Hälfte des Stammkapitals verloren ist. Der Geschäftsleiter tut gut daran, über bestimmte Maßnahmen schriftlich beschließen zu lassen.

8. Blick in die D&O-Police

D&O-Policen halten mitunter Sublimits für vorbeugende Rechtsberatung bereit. Dabei geht es um bedingungsmäßig umrissene Fragestellungen. Quick-Checks zur Insolvenzantragspflicht oder eine erste Einschätzung über eine spezielle mögliche Pflichtverletzung gehören oft dazu. Gerade in der Krise kann es sich daher lohnen, die Bedingungswerke durchzusehen oder mit einem Anwalt / Makler durchzuarbeiten.

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