Kontakt

Ob Sie lieber eine E-Mail senden, zum Telefon greifen oder das gute alte Fax nutzen. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.

Anruf unter
+49 711 86040 00
Fax unter
+49 711 86040 01

Der Betrieb eines Kindergartens als ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag

Öffentliche Hand
Der Betrieb eines Kindergartens als ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag

Unter welchen Voraussetzungen ist der Betrieb eines Kindergartens ausschreibungspflichtig? Mit dieser Frage hatte sich die Vergabekammer Thüringen (Beschl. v. 28.10.2020, Az. 250-4003-4720/2020-E-009-SLF) im letzten Jahr zu befassen. Die Vergabekammer setzte sich zudem vertieft mit den Anforderungen an den vergaberechtlichen Rechtsschutz gegen unmittelbar bevorstehende de-facto-Vergaben auseinander.

Sachverhalt

Der Auftraggeber, eine thüringische Gemeinde, machte die Durchführung eines Interessenbekundungsverfahrens für den Betrieb eines neuen Kindergartens öffentlich bekannt. Der Auftragswert belief sich auf ca. EUR 900.000,00 netto. Der Auftraggeber stellte klar, dass es sich bei dem Interessenbekundungsverfahren nicht um ein Vergabeverfahren gemäß VOB, VOL oder anderer vergaberechtlicher Bestimmungen handele.

Wohnsitzgemeinden sind in Thüringen gesetzlich dazu verpflichtet, die erforderlichen Plätze in Kindertageseinrichtungen bereitzustellen (§ 3 Abs. 2 ThürKitaG).

Der Betreibervertrag sah einen Ersatz der Betriebskosten vor, die durch die Erbringung der Dienstleistung (Betrieb des neuen Kindergartens) entstehen.

Nachdem mehrere Unternehmen ihre Interessenbekundungen gegenüber den Stadtratsmitgliedern des Auftraggebers sowie weiteren Interessensgruppen vorgestellt hatten, beschloss der Stadtrat einen zeitnahen Betrieb des Kindergartens durch die spätere Beigeladene. Eine Beauftragung lag hierin noch nicht.

Hierüber informierte der Auftraggeber den späteren Antragsteller, welcher daraufhin den Beschluss des Stadtrats als vergaberechtswidrig rügte. Dieser Rüge half der Auftraggeber nicht ab. Daraufhin stellte der Antragsteller einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Thüringen. Zur Begründung führte er unter anderem an, dass der Auftraggeber ein förmliches Vergabeverfahren hätte durchführen müssen.

Entscheidung

Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag statt. Im Ergebnis hätte der Betreibervertrag in einem förmlichen europaweiten Verfahren ausgeschrieben werden müssen.

Die Vergabekammer arbeitet zunächst heraus, dass die Geltendmachung einer unzulässigen de-facto-Vergabe grundsätzlich voraussetzt, dass der Auftrag bereits vergeben wurde. Wenn die de-facto-Vergabe unmittelbar bevorsteht, ist ausnahmsweise jedoch auch vorbeugender Rechtsschutz möglich. Andernfalls würde nach Ansicht der Vergabekammer der den Bietern zustehende Primärrechtsschutz in nicht hinnehmbarer Weise eingeschränkt.

Nach Auffassung der Vergabekammer stellt die von dem Auftraggeber angestrebte „Vereinbarung zur Betreibung eines Kindergartens und zur Erstattung der Betriebskosten" einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB dar.

Für diese Einstufung stellt die Vergabekammer unter anderem darauf ab, dass Wohnsitzgemeinden in Thüringen gesetzlich dazu verpflichtet sind, die erforderlichen Plätze in Kindertageseinrichtungen bereitzustellen (§ 3 Abs. 2 S. 2 ThürKitaG). Aufgrund der vorgesehenen Betriebskostenerstattung ist zudem das Merkmal der Entgeltlichkeit gegeben.

Zudem führt die angestrebte „Vereinbarung zur Betreibung eines Kindergartens und zur Erstattung der Betriebskosten" nach Auffassung der Vergabekammer nicht zu einer dem Vergaberecht entzogenen sog. „materiellen Privatisierung“. In diesem Fall sei eine materielle Privatisierung in dem Sinne, dass auch die Aufgabenverantwortung aus der Kommune heraus verlagert wird, bereits deswegen ausgeschlossen, da die Gemeinde einer kommunalen Pflichtaufgabe unterliegt – die Pflicht zur Bereitstellung der erforderlichen Plätze in Kindertageseinrichtungen.

Praxistipp

Die Entscheidung enthält für die Vergabepraxis wertvolle Aussagen dazu, in welchen Fällen Betreiberverträge für Kindergärten ausschreibungspflichtige öffentliche Aufträge darstellen. Die Vergabekammer verweist in der Begründung des Beschlusses auf eigene Recherchen, nach denen derartige Verträge immer häufiger in förmlichen Vergabeverfahren vergeben werden.

Vor diesem Hintergrund ist für öffentliche Auftraggeber unter anderem entscheidend, ob gesetzliche Regelungen bestehen, aufgrund derer die Bereitstellung der erforderlichen Plätze in Kindergärten kommunale Pflichtaufgabe ist. Besteht eine solche Verpflichtung des Auftraggebers, scheidet eine materielle Privatisierung bereits aus diesem Grund aus.

Maßgebliche Entscheidung: VK Thüringen, Beschl. v. 28.10.2020, Az. 250-4003-4720/2020-E-009-SLF

Zurück