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Keine Zuschlagserteilung bei unangemessen langen Bindefristen möglich

Öffentliche Hand
Keine Zuschlagserteilung bei unangemessen langen Bindefristen möglich

Nach Ablauf der Angebotsfrist beginnt die sogenannte Bindefrist. Bis zum Ablauf der Bindefrist sind die Bieter an ihre Angebote gebunden. Auftraggeber können in diesem Zeitraum einseitig den Zuschlag erteilen und den Vertragsschluss herbeiführen. Ist die vom Auftraggeber festgesetzte Bindefrist jedoch unangemessen lang, kann dies – wie die nachfolgende Entscheidung aufzeigt – dazu führen, dass die beabsichtigte Zuschlagserteilung untersagt wird.

Sachverhalt

Mit europaweiter Auftragsbekanntmachung schrieb der kommunale Auftraggeber einen Bauauftrag im offenen Verfahren aus. Die Angebotsabgabefrist endete am 22. Juni 2022. Ausweislich der EU-Auftragsbekanntmachung wurde die Bindefrist der Angebote bis zum 7. November 2022 festgesetzt. Demnach betrug die Bindefrist insgesamt 138 Kalendertage.

Auf die Bieterfrage, warum die Bindefrist so lang bemessen sei, antwortete der Auftraggeber, dass der Beschlussturnus der Kommune eine schnellere Vergabeentscheidung nicht zulasse. Das zuständige kommunale Gremium könne die Vergabeentscheidung daher erst im Oktober 2022 und nicht früher treffen. Der Bieter reichte angesichts der langen Bindefrist kein Angebot ein und stellte nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag.

Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg. Nach Auffassung der Vergabekammer hat der Auftraggeber den ihm zustehenden Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Bindefrist vergaberechtswidrig überschritten.

Die Vergabekammer stellt hierzu zunächst Folgendes klar:

Gemäß § 10a EU Abs. 8 VOB/A bestimmt der öffentliche Auftraggeber eine angemessene Frist, innerhalb der die Bieter nach Ablauf der Angebotsfrist an ihre Angebote gebunden sind. Die sogenannte Bindefrist soll so kurz wie möglich und nicht länger bemessen werden, als der öffentliche Auftraggeber für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote benötigt. Die Bindefrist beträgt regelmäßig 60 Kalendertage. In begründeten Fällen kann der öffentliche Auftraggeber eine längere Frist festlegen.

Ausgehend von diesem rechtlichen Maßstab hat der Auftraggeber vorliegend bei der Bestimmung der Bindefrist den ihm zustehenden Ermessensspielraum überschritten. Denn der Auftraggeber hat bei seiner Entscheidung die Interessen der Bieter an einer möglichst kurzen Bindefrist nicht hinreichend berücksichtigt.

Was rechtmäßige Gründe für eine längere Bindefrist als die Regelfrist von 60 Tagen sind, lässt sich der Vorschrift aus § 10 EU Abs. 8 VOB/A nicht entnehmen. Aus der bisher ergangenen Rechtsprechung ergibt sich gleichwohl, dass die besonderen Bedingungen der internen Willensbildung einer Kommune als mögliche Rechtfertigung für eine längere Bindefrist anerkannt werden (so auch BGH, Urt. v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90). Dies bedeutet jedoch nicht, dass kommunale Auftraggeber wegen ihrer organisatorischen Bedingungen die Regelfrist ohne weiteres überschreiten dürften. Insoweit bedarf es einer auf die Umstände des Einzelfalls gerichteten Betrachtung. Hierbei ist zugunsten der Bieter zu berücksichtigen, dass diese während der Bindefrist in ihren geschäftlichen Entschlüssen und Dispositionen, insbesondere hinsichtlich der Bewerbung um andere Aufträge und der Finanzierung weiterer Aufträge, erheblich eingeschränkt sind.

Überdies sind in Zeiten mit kurzfristigen hohen Preisschwankungen und Fachkräftemangel die Interessen der Bieter bei der Festsetzung der Bindefrist besonders zu berücksichtigen, um ihnen kein ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOBA aufzuerlegen.

Mangels Berücksichtigung der vorgenannten Bieterbelange hat die Vergabekammer in der Festsetzung der 138-tägigen Bindefrist einen Vergaberechtsverstoß gesehen. Infolgedessen wurde es dem Auftraggeber untersagt, den Zuschlag auf das Angebot des Bestbieters zu erteilen. Die Vergabekammer hat zudem entschieden, dass der Auftraggeber bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsaufforderung zurückversetzen muss.

Praxistipp

Der öffentliche Auftraggeber hat bei der Bestimmung der Bindefrist eine Ermessensentscheidung zu treffen, die alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Bei EU-Bauvergaben beläuft sich die Regel-Bindefrist auf 60 Kalendertage (§ 10a EU Abs. 8 VOB/A), unterhalb des Schwellenwerts auf 30 Kalendertage (§ 10 Abs. 4 VOB/A). Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge besteht keine ausdrückliche gesetzliche Vorgabe. Lediglich im Unterschwellenbereich sieht die UVgO die Festlegung einer angemessenen Bindefrist vor (§ 13 Abs. 1 UVgO).

Was unter einer angemessenen Bindefrist zu verstehen ist bzw. wann von einer gesetzlichen Regel-Bindefrist abgewichen werden kann, lässt sich nicht pauschal beantworten. Maßgeblich ist, dass sich Auftraggeber bei der Festsetzung der Bindefrist Gedanken über die Belange aller am Verfahren Beteiligter machen und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen eine ermessenkonforme Entscheidung treffen. Hierzu zählen insbesondere die Interessen der Bieter, die grundsätzlich nicht durch eine überlange Bindefrist gebunden und hierdurch in ihren geschäftlichen Entschlüssen und Dispositionen eingeschränkt werden wollen. Im Zweifel sollten öffentliche Auftraggeber ihre Abläufe der internen Gremienbefassung überdenken.

Maßgebliche Entscheidung: VK Südbayern, Beschl. v. 05.08.2022 – 3194.Z3-3_01-22-29

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